Publikation: We don´t want this place
Neben aktiver Hilfsarbeit und der Unterstützung von lokalen Struktur auf dem Balkan, leistet der Kölner Spendenkonvoi e.V. wichtige Aufklärung- und Bildungsarbeit in Deutschland. Hierzu ist die erste Publikation entstanden, die sowohl sachliche Informationen sammelt, als auch persönliche Einblicke in die Situation und Arbeit vor Ort verschafft.
Sackgasse am Rand der EU
Wie ein komplexes Flusssystem besteht die Balkanroute aus unterschiedlichen Wegen die durch Südost-Europa in die Europäische Union führen. Diese kleinen Verästelungen befinden sich in ständiger Veränderung. Es entstehen immer wieder neue Routen und Alte versiegen. Denn die meisten Flüchtenden versuchen unentdeckt durch die Länder zu gehen, die für sie auf dem Weg in die EU nur ein Transit sein sollen. Ist ein Weg bekannt, ist die Gefahr groß von der Polizei aufgespürt zu werden und Opfer eines Pushbacks, einer illegalen Abschiebung zu werden. Der Beginn der Balkanroute kann am Fluss Evros an der Türkisch-Griechischen Grenze gesehen werden, der tödlichsten Landesgrenze der EU und einer der tödlichsten der Welt. Es gibt keine tödlichere Grenze auf der ganzen Welt als die EU-Außengrenze, zumindest wenn man die absoluten Zahlen der Gestorbenen seit 2010 vergleicht.
War zu Beginn unserer Tätigkeit im Jahr 2018 lediglich von Kroatien und Griechenland Gerüchte bekannt, dass der hier Pushbacks durchgeführt werden, beteiligen sich vier Jahre später fast alle EU-Staaaten, die eine Außengrenze haben, mit recht unverblümter Offenheit an diesem Rechtsbruch. Von Bulgarien, Griechenland, Kroatien, Slowenien, Ungarn und Rumänien sind diese EU-Asylrecht brechende Praktiken gut dokumentiert. In den Fällen von Griechenland, Bulgarien und Kroatien zudem bekannt, dass dabei massive Gewalt angewendet wird. Bei einer gut dokumentierten Faktenlage dieser Rechtvergehen sind die Worte von der Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen nur allzu zynisch, Griechenland dankte, dass es durch sein Grenzregime, das Schutzschild der EU ist.
Der Anblick der EU-Außengrenze zeigt leider fasst überall dasselbe kalte Bild einer Festung. Zwei vier Meter hohe Zäune bilden einen dünnen Grenzstreifen. Oben auf den Zäunen befindet sich Nato-Draht, der beim Versuch, diese Barrieren zu überwinden, tiefe Schnittwunden verursacht. Im Fall von Ungarn befinden sich in dem Zaun in regelmäßigen Abständen Türen, deren einziger Zweck ist Menschen in der Nacht wieder außerhalb der EU zu bringen. Im Jahr 2022 ist es leider zur Normalität geworden, das Rechtsbruch in aller Öffentlichkeit geschieht. Ohne öffentlicher oder juristischer Anklage. Um den fliehenden Menschen zu helfen, Ihren Geschichten eine Stimme zu geben und dieses eklatanten Missstand anzuklagen, ist Ziel des Kölner Spendenkonvoi e.V.
Zur Lage der Geflüchteten
Die Verzweiflung der Geflüchteten, die in den Ländern des Westbalkan stranden, blieb leider seit unserer ersten Fahrt 2018 die gleiche, traurige Konstante. Nach ihrer meist jahrelangen Flucht werden die Menschen an der Außengrenze der EU brutal gestoppt. Brutal deswegen, weil die von Bulgarien über Griechenland und Kroatien die Polizei die Geflüchteten immer wieder misshandelt, ihre Smartphones, die u.a. der Navigation dienen, zerstört und Schuhe und Rucksäcke vor ihren Augen verbrennt. Ungeachtet dessen, ob sich in der Gruppe der Geflüchteten auch Kinder oder Frauen befinden, wird stets dieselbe Abschiebungspraxis angewendet.
So beschrieb uns eine irakische Familie, dass sie zusammen mit ihren vier Kindern bereits zehn Mal illegal von den kroatischen Polizisten abgeschoben worden sei, wobei gerade durch die besondere Schutzbedürftigkeit der Kinder ein Asylverfahren rechtlich wie moralisch gewährt werden müsste.
Besonders sadistisch gehen dabei die griechischen Grenzbeamten an der Grenze zur Türkei vor. Beispielweise wurden im Februar 2022 19 Geflüchtete tot aufgefunden. Die Autopsie ergab, dass sie, nachdem ihnen ihre Kleidung weggenommen wurde und sie durch den Grenzfluss Evros schwimmen mussten, erfroren sind. Erschöpft, ausgelaugt und ohne das sie wenigstens einen Hauch ieiner Chance hatten unter Menschenwürdigen Bedingungen von ihrem Recht ein Asylantrag zu stellen, Gebrauch machen konnten.
So wie sich die Fluchtrouten ändern, ändert sich die Situation vor Ort. So lag unser Schwerpunkt bis zum Jahr 2020 auf Bosnien, genauer gesagt die Region im Nordwesten Bosnien. Durch die Änderung der Fluchtroute war im Jahr unsere Unterstützungsarbeit für Geflüchtete erweiteret worden auf die Grenzregion Serbien-Ungarn, genauer gesagt um die Stadt Subotica. Gleichzeitig waren Mitglieder von unserem Verein sei es als Einsatzfahrt oder als Einzelpersonen von Moria über Kroatien, Trieste und an der slowakisch-ukrainischen Grenze aktiv. Durch diese Erfahrung kennen wir die Unterschiede aber auch Gemeinsamkeiten der jeweiligen Situationen für die fliehenden Menschen. In den meisten Fällen herrschen auf dem Westbalkan meistens einer der beiden Situationen. Entweder gibt es Gefängnisartige Flüchtlingslager, die zwar mit dem nötigsten ausgestattet sind, die Menschen, aber ohne Perspektive, Asylprozess , Ablenkung wie kleinen Arbeitstätigkeiten kein Stück Selbstbestimmung in ihrem Leben mehr besitzen. Wenn die Geflüchteten Versuchen sich außerhalb dieser offiziellen Lager zu bewegen, werden sie meistens von der Polizei wieder in die offiziellen Lager gebracht. Diese Situation findet sich beispielweise stark rund um die Stadt Bihac bzw. beim Camp Lipa in Bosnien. Eine andere Situation ist, dass es gar keine offizielle Lager Struktur gibt und die Menschen nur in informellen Lagern wie alten Ruinen oder in Wäldern in Zelten leben. Dort sind die Menschen stark auf sich alleine gestellt und meist abhängig von der Unterstützung Dritter, wie kleinen NGOs. Abhängig von der Kriminalisierung dieser Hilfe von der örtlichen Polizei ist die Unterstützung meist ausgesprochen rudimentär. Dass sich in diesen Lagerstrukturen häufig Kinder, gar Neugeborenen befinden, macht die Situation unerträglich.